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Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat im November 2021 ein Diskussionspapier zur Überarbeitung der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV) veröffentlicht. Geplant ist, die Verordnung im Laufe des Jahres 2022 im Hinblick auf einige häufig geäußerte Kritikpunkte zu verbessern. Drei der anstehenden Änderungen erscheinen besonders bemerkenswert.

Präsenz heißt physische Präsenz

Eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator muss nach § 2 Abs. 4 S. 1 ZMediatAusbV mindestens 120 Zeitstunden Präsenzunterricht enthalten. In Corona-Zeiten war vereinzelt der Ruf laut geworden, auch Online-Lehrformate unter den Präsenzbegriff zu fassen. Dem erteilt das Justizministerium nun eine Absage und stellt klar, dass unter Präsenz physische Präsenz zu verstehen ist. Eine reine Online-Ausbildung zum zertifizierten Mediator kann es insofern heute wie auch in Zukunft nicht geben. Allerdings greift das BMJV den Wunsch auf, zumindest einen Teil der Ausbildungsstunden digital erbringen zu können und dort insbesondere die Vermittlung in Online-Verhandlungen abzubilden. Deswegen soll die notwendige Mindeststundenzahl künftig auf 130 Präsenzzeitstunden moderat erhöht werden. 20% dieser Stunden – das entspricht 26 Zeitstunden – können dabei in einem interaktiven Onlineformat stattfinden.

Institutszertifizierung statt Selbstzertifizierung

Ein zweiter wichtiger Punkt im Diskussionspapier des BMJV: Bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der ZMediatAusbV gab es verschiedentlich Kritik daran, dass die Zertifizierung entgegen der Wortbedeutung keine Überprüfung oder Kontrolle durch eine Institution oder Behörde voraussetzt. Der bisherige zertifizierte Mediator ist ein selbstzertifizierter Mediator. Das soll sich demnächst ändern. Künftig sollen nach den Vorstellungen des BMJV die Ausbildungsinstitute prüfen, ob ihre Ausbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Voraussetzungen der ZMediatAusbV erfüllen.

Neue Zertifizierung ist späte Zertifizierung

Bemerkenswert ist schließlich auch eine dritte Neuerung, die sich im BMJV-Diskussionspapier ankündigt: Während man heute nach dem Besuch des Ausbildungslehrgangs nur einen Praxisfall supervidieren lassen muss, um sich als zertifizierte Mediatorin bezeichnen zu können, sollen künftig fünf supervidierte Fälle erforderlich sein. Die darin enthaltenen vier weiteren Fälle müssen zertifizierte Mediatoren zwar nach § 4 Abs. 1 ZMediatAusbV auch heute schon akquirieren und supervidieren lassen, allerdings dürfen sie sich schon zuvor als zertifizierte Mediatoren bezeichnen. Mit anderen Worten: Wenn es bei den aktuellen Plänen bleibt, wird man künftig erst später und unter höheren Praxisvoraussetzungen zertifizierter Mediator. Wer sich die Vorteile der alten Regeln sichern möchte, muss nach den Planungen des Ministeriums seine Ausbildung bis Ende 2022 begonnen haben…

In Zeiten der COVID-19-Pandemie sind viele berufliche Fortbildungen auf die digitale Spur gewechselt. Funktioniert das auch für eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator?

Ausbildungs-Verordnung: 120 Präsenzzeitstunden erforderlich

Wenn Universitäten ihre gesamte Lehre auf digitale Formate umstellen, scheint prima facie auch eine Online-Ausbildung zum zertifizierten Mediator gut möglich zu sein. Nach der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV) als dem wesentlichen Regelwerk für die Zertifizierung von Mediatoren ist das aber kein Selbstläufer. Denn § 2 Abs. 4 S. 1 ZMediatAusbV lautet:

Der Umfang des Ausbildungslehrgangs beträgt insgesamt mindestens 120 Präsenzzeitstunden.

Entscheidend ist dabei, dass die Pflichtstunden der Ausbildung in Präsenz zu absolvieren sind. Daran hat auch die jüngste, coronabedingte Überarbeitung der ZMediatAusbV nichts geändert. Was aber bedeutet Präsenz bei einer Mediationsausbildung? Müssen die Ausbildungsteilnehmer an einem Ort physisch versammelt sein oder genügt eine Live-Interaktion über digitale Kanäle?

Was sind Präsenzzeitstunden?

Der Begriff der Präsenzzeitstunde war im ursprünglichen Entwurf für die ZMediatAusbV noch nicht enthalten. Er wurde 2017 vergleichsweise kurzfristig in die Endfassung der Verordnung übernommen. In einem Beitrag für die Zeitschrift für Konfliktmanagement erläuterte die zuständige Referentin des Justizministeriums seinerzeit die Gründe für diese Regelung (Constanze Eicher, ZKM 2016, 160-163):

„Durch diese Ergänzung soll verhindert werden, dass der Ausbildungslehrgang im Selbststudium absolviert werden kann. Ein reines Selbststudium könnte die Ausbildungsteilnehmenden nämlich nicht angemessen auf die Anforderungen der späteren beruflichen Praxis vorbereiten, die durch spannungsreiche zwischenmenschliche Beziehungen geprägt sein wird. Um sich für den Umgang mit solchen Situationen zu schulen, ist die persönliche Interaktion mit dem Ausbilder und mit anderen Teilnehmenden des Ausbildungslehrgangs zwingend erforderlich.“

Danach ist unmissverständlich klar, dass jedenfalls ein Selbststudium keine Präsenzausbildung darstellt. Im Gegenschluss dazu könnte man annehmen, dass eine Ausbildung im digitalen Format als Präsenzunterricht zählt, sofern sie die persönliche Interaktion aller Beteiligten ermöglicht. Dieses Verständnis wiederum schneidet sich mit dem, was der Beitrag von Eicher an anderer Stelle sagt:

„Trotz der geforderten Präsenzzeitstunden bleibt ein Fernstudium möglich, allerdings müssen auch im Rahmen eines solchen 120 Präsenzzeitstunden abgeleistet werden.“

Danach ist der Gegenbegriff zur Präsenzausbildung nicht das Selbststudium, sondern das Fernstudium. Da Online-Lehrformate typische Fernstudien sind, können sie aus dieser Perspektive bei der Zählung der Präsenzzeitstunden nach § 2 Abs. 4 S. 1 ZMediatAusbV nicht berücksichtigt werden.

Die herrschende Meinung…

Die letztere Lesart, wonach Fernstudien nicht für die Präsenzzeitstunden zählen, hat sich in der juristischen Literatur durchgesetzt:

  • Peter Röthemeyer, ZKM 2016, 195 (197)
  • Enrico Rennebarth, DStR 2017, 1843 (1845)
  • Jürgen Klowait, in: Klowait/Gläßer, MediationsG, 2. Aufl. 2018, § 2 ZMediatAusbV Rn. 3
  • Matthias Kilian, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 2 ZMediatAusbV Rn. 13

Für diese Sichtweise spricht der Umstand, dass Mediationsverfahren in aller Regel als Präsenzverhandlung stattfinden. Ein Praxistraining anhand simulierter Mediationsfälle ist deutlich näher an der Realität, wenn alle Ausbildungsteilnehmer am selben Ort physisch anwesend sind. Hinzu kommt eine Reihe von Folgeproblemen, die sich ergeben, wenn man – wie etwa Wulfmeyer, Spektrum der Mediation 80/2020, S. 19-22 – den Begriff der Präsenzzeitstunden weit versteht. Würden nämlich auch virtuelle Ausbildungselemente darunter zählen, könnte eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator theoretisch komplett online stattfinden – und das wäre unzweifelhaft nicht im Sinne des Verordnungsgebers. Selbst wenn man mit einem vermittelnden Ansatz nur solche Online-Formate zulassen wollte, die eine Interaktion der Teilnehmer ermöglichen, blieben Folgefragen: Sollte eine Interaktion ohne Bild mit reiner Tonspur oder einem bloßen Textchat genügen? Sollte die Interaktion synchron sein müssen oder auch mit Zeitversatz erfolgen können? Sollte Interaktion nur möglich sein oder tatsächlich stattfinden müssen?

So what?

Wer die Teilnahme an einer Ausbildung zum zertifizierten Mediator erwägt, sollte die Vorgaben der ZMediatAusbV auch in Corona-Zeiten im Auge haben. Denn nach der Konzeption der Verordnung ist jede Person, die sich als zertifizierte Mediatorin bezeichnet, selbst dafür verantwortlich, die entsprechenden rechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Wer eine Online-Ausbildung zum zertifizierten Mediator absolviert, die weniger als 120 Zeitstunden physischer Präsenz an einem gemeinsamen Ausbildungsort enthält, darf die Bezeichnung als zertifizierte(r) Mediator(in) im Zweifel nicht führen. Abhängig von den Werbeaussagen des Anbieters kommt natürlich ein Anspruch auf Rückerstattung gezahlter Teilnehmerbeiträge in Betracht. Den damit verbundenen Querelen kann man aber entgehen, wenn man von vornherein darauf achtet, dass der Ausbildungslehrgang 120 echte Präsenzzeitstunden umfasst.

Im aktuellen Heft der Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM) gibt die Referentin im Bundesjustizministerium Constanze Eicher einen Überblick über die Entstehung der Rechtsverordnung zum zertifizierten Mediator. Einige interessante Aspekte ihres Beitrags seien im Folgenden herausgegriffen.

Zielsetzung der Rechtsverordnung zum zertifizierten Mediator

Ziel der Rechtsverordnung zum zertifizierten Mediator ist es Eicher zufolge, das Berufsbild des Mediators zu stärken und eine qualifizierte Ausbildung für ein komplexes Konfliktlösungsverfahren sicherzustellen. Die nun ergangenen Regeln zum zertifizierten Mediator fußen dabei auf dem Verordnungsentwurf aus dem Jahr 2014. Gleichzeitig suchen sie die vielfältigen Anregungen zu berücksichtigen, die Wissenschaft und Praxis seither formuliert haben. Dies hat naturgemäß zu einigen Änderungen gegenüber dem Vorentwurf der ZMediatAusbV geführt. Eicher erläutert deren Hintergründe und gibt damit einen Anhaltspunkt für die Auslegung der Vorschriften der ZMediatAusbV. Insbesondere das Verhältnis von Präsenzausbildung, Fernunterricht und Selbststudium, aber auch die Auslandsregelung des § 6 ZMediatAusbV werden damit besser verständlich.

Pflichtinhalte können im Selbststudium erarbeitet werden

Dass die endgültige Verordnung zum zertifizierten Mediator im Unterschied zur Entwurfsfassung nunmehr Präsenzausbildungsstunden verlangt, begründet Eicher mit der Notwendigkeit persönlicher Interaktion der Teilnehmer mit den Trainern und untereinander. Mediationsverfahren seien durch spannungsreiche menschliche Beziehungen gekennzeichnet. Deswegen verlange der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 3 ZMediatAusbV praktische Übungen und Rollenspiele. Und deswegen sei auch eine gewisse Präsenzzeit unabdinglich. Gleichzeitig sei eine teilweise Fernausbildung dadurch nicht ausgeschlossen, solange nur der Präsenzteil der Ausbildung 120 Zeitstunden umfasse. Wichtig: Welche der in der Anlage zur ZMediatAusbV vorgesehenen Pflichtinhalte ein Ausbildungsinstitut im Präsenzteil behandelt, kann es Eicher zufolge selbst entscheiden.

„Es dürfte … nicht erforderlich sein, dass sich die 120 Präsenzzeitstunden genau auf die in der Anlage festgelegten Inhalte beziehen. Anbieter eines Fernstudiums können also flexibel entscheiden, welche der in der Anlage zur Verordnung aufgelisteten Ausbildungsinhalte sie in den 120 Präsenzzeitstunden vermitteln wollen und werden sich hierbei wahrscheinlich auf die Vermittlung von Verhandlungs- und Kommunikationstechniken konzentrieren. Die anderen Ausbildungsinhalte, die sich in erster Linie auf die Vermittlung von Wissen beziehen, können dann ausschließlich im Wege des Fernstudiums behandelt werden. Vorstellbar sind hier verschiedene Modelle, etwa ein Fernstudium, in dem die Grundlagen vermittelt werden und das anschließend mit einem mehrwöchigen Präsenzseminar abschließt oder Phasen des Selbststudiums, die durch mehrtägige Präsenzveranstaltungen unterbrochen werden.“

Das bedeutet: Wenn es dem Trainerteam einer Ausbildung an bestimmten – z.B. juristischen – Kompetenzen fehlt, kann es den Ausbildungsteilnehmern zu den entsprechenden Pflichtinhalten durchaus Bücher zu lesen geben. Offen bleibt allein, ob das Selbststudium bzw. dessen Lernerfolg zu prüfen ist oder der Selbstdisziplin der Teilnehmer überlassen bleibt.

Ausbildungsflucht ins Ausland nicht vereitelbar

Schließlich erwähnt Eicher auch, dass das Justizministerium die Gefahr einer Ausbildungsflucht ins Ausland gesehen hat. Nach § 6 ZMediatAusbV kann nämlich derjenige deutlich einfacher zum zertifizierten Mediator werden, der seine Ausbildung im Ausland absolviert. Der Verordnungsgeber war sich dieses Problems bewusst, sah sich aber aus europarechtlichen Gründen zu einer Gleichstellung ausländischer Ausbildungsabsolventen mit den inländischen Altfällen verpflichtet. Die Rechtsfolgen dieser „Diskriminierung inländischer Ausbildungsgänge“ (Greger) für den Bestand der ZMediatAusbV sind einstweilen unklar. Allerdings dürfte es keinen Rechtsmissbrauch darstellen, seine Ausbildung im Ausland zu absolvieren, um sich anschließend im Inland als zertifizierter Mediator zu bezeichnen.