In Zeiten der COVID-19-Pandemie sind viele berufliche Fortbildungen auf die digitale Spur gewechselt. Funktioniert das auch für eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator?
Ausbildungs-Verordnung: 120 Präsenzzeitstunden erforderlich
Wenn Universitäten ihre gesamte Lehre auf digitale Formate umstellen, scheint prima facie auch eine Online-Ausbildung zum zertifizierten Mediator gut möglich zu sein. Nach der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV) als dem wesentlichen Regelwerk für die Zertifizierung von Mediatoren ist das aber kein Selbstläufer. Denn § 2 Abs. 4 S. 1 ZMediatAusbV lautet:
Der Umfang des Ausbildungslehrgangs beträgt insgesamt mindestens 120 Präsenzzeitstunden.
Entscheidend ist dabei, dass die Pflichtstunden der Ausbildung in Präsenz zu absolvieren sind. Daran hat auch die jüngste, coronabedingte Überarbeitung der ZMediatAusbV nichts geändert. Was aber bedeutet Präsenz bei einer Mediationsausbildung? Müssen die Ausbildungsteilnehmer an einem Ort physisch versammelt sein oder genügt eine Live-Interaktion über digitale Kanäle?
Was sind Präsenzzeitstunden?
Der Begriff der Präsenzzeitstunde war im ursprünglichen Entwurf für die ZMediatAusbV noch nicht enthalten. Er wurde 2017 vergleichsweise kurzfristig in die Endfassung der Verordnung übernommen. In einem Beitrag für die Zeitschrift für Konfliktmanagement erläuterte die zuständige Referentin des Justizministeriums seinerzeit die Gründe für diese Regelung (Constanze Eicher, ZKM 2016, 160-163):
„Durch diese Ergänzung soll verhindert werden, dass der Ausbildungslehrgang im Selbststudium absolviert werden kann. Ein reines Selbststudium könnte die Ausbildungsteilnehmenden nämlich nicht angemessen auf die Anforderungen der späteren beruflichen Praxis vorbereiten, die durch spannungsreiche zwischenmenschliche Beziehungen geprägt sein wird. Um sich für den Umgang mit solchen Situationen zu schulen, ist die persönliche Interaktion mit dem Ausbilder und mit anderen Teilnehmenden des Ausbildungslehrgangs zwingend erforderlich.“
Danach ist unmissverständlich klar, dass jedenfalls ein Selbststudium keine Präsenzausbildung darstellt. Im Gegenschluss dazu könnte man annehmen, dass eine Ausbildung im digitalen Format als Präsenzunterricht zählt, sofern sie die persönliche Interaktion aller Beteiligten ermöglicht. Dieses Verständnis wiederum schneidet sich mit dem, was der Beitrag von Eicher an anderer Stelle sagt:
„Trotz der geforderten Präsenzzeitstunden bleibt ein Fernstudium möglich, allerdings müssen auch im Rahmen eines solchen 120 Präsenzzeitstunden abgeleistet werden.“
Danach ist der Gegenbegriff zur Präsenzausbildung nicht das Selbststudium, sondern das Fernstudium. Da Online-Lehrformate typische Fernstudien sind, können sie aus dieser Perspektive bei der Zählung der Präsenzzeitstunden nach § 2 Abs. 4 S. 1 ZMediatAusbV nicht berücksichtigt werden.
Die herrschende Meinung…
Die letztere Lesart, wonach Fernstudien nicht für die Präsenzzeitstunden zählen, hat sich in der juristischen Literatur durchgesetzt:
- Peter Röthemeyer, ZKM 2016, 195 (197)
- Enrico Rennebarth, DStR 2017, 1843 (1845)
- Jürgen Klowait, in: Klowait/Gläßer, MediationsG, 2. Aufl. 2018, § 2 ZMediatAusbV Rn. 3
- Matthias Kilian, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 2 ZMediatAusbV Rn. 13
Für diese Sichtweise spricht der Umstand, dass Mediationsverfahren in aller Regel als Präsenzverhandlung stattfinden. Ein Praxistraining anhand simulierter Mediationsfälle ist deutlich näher an der Realität, wenn alle Ausbildungsteilnehmer am selben Ort physisch anwesend sind. Hinzu kommt eine Reihe von Folgeproblemen, die sich ergeben, wenn man – wie etwa Wulfmeyer, Spektrum der Mediation 80/2020, S. 19-22 – den Begriff der Präsenzzeitstunden weit versteht. Würden nämlich auch virtuelle Ausbildungselemente darunter zählen, könnte eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator theoretisch komplett online stattfinden – und das wäre unzweifelhaft nicht im Sinne des Verordnungsgebers. Selbst wenn man mit einem vermittelnden Ansatz nur solche Online-Formate zulassen wollte, die eine Interaktion der Teilnehmer ermöglichen, blieben Folgefragen: Sollte eine Interaktion ohne Bild mit reiner Tonspur oder einem bloßen Textchat genügen? Sollte die Interaktion synchron sein müssen oder auch mit Zeitversatz erfolgen können? Sollte Interaktion nur möglich sein oder tatsächlich stattfinden müssen?
So what?
Wer die Teilnahme an einer Ausbildung zum zertifizierten Mediator erwägt, sollte die Vorgaben der ZMediatAusbV auch in Corona-Zeiten im Auge haben. Denn nach der Konzeption der Verordnung ist jede Person, die sich als zertifizierte Mediatorin bezeichnet, selbst dafür verantwortlich, die entsprechenden rechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Wer eine Online-Ausbildung zum zertifizierten Mediator absolviert, die weniger als 120 Zeitstunden physischer Präsenz an einem gemeinsamen Ausbildungsort enthält, darf die Bezeichnung als zertifizierte(r) Mediator(in) im Zweifel nicht führen. Abhängig von den Werbeaussagen des Anbieters kommt natürlich ein Anspruch auf Rückerstattung gezahlter Teilnehmerbeiträge in Betracht. Den damit verbundenen Querelen kann man aber entgehen, wenn man von vornherein darauf achtet, dass der Ausbildungslehrgang 120 echte Präsenzzeitstunden umfasst.