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Voraussichtlich am 1. April 2016 tritt das neue Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) in Kraft. In letzter Minute hat der Gesetzgeber darin eine Vorschrift zum zertifizierten Mediator aufgenommen. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG kann Leiter einer Verbraucherschlichtungsstelle nur sein, wer als Volljurist die Befähigung zum Richteramt besitzt oder wer die Voraussetzungen für den zertifizierten Mediator erfüllt.

Bislang keine Verordnung zum zertifizierten Mediator

Die Zulassung von zertifizierten Mediatoren als Leiter einer Verbraucherschlichtungsstelle kommt insofern unerwartet, als die dafür erforderliche Anerkennung zum zertifizierten Mediator gegenwärtig noch nicht möglich ist, weil das Bundesjustizministerium die Rechtsverordnung zum zertifizierten Mediator noch nicht erlassen hat. Entsprechend kritisch sind die Stimmen aus Wissenschaft und Praxis: Die Rede ist etwa von einem teilweisen Berufsverbot für Mediatoren, von einem ungerechtfertigten Eingriff in deren Berufsfreiheit nach Art. 12 GG oder von einer Unvereinbarkeit mit Erwägungsgrund 36 der ADR-Richtlinie, der den Verbraucherschlichtern – freilich als bloße Sollvorschrift – keine umfassende juristische Qualifikation abverlangen will. Nicht ausgeschlossen, dass das Bundesjustizministerium auf diese vehemente Kritik zeitnah reagiert, indem es die Rechtsverordnung zum zertifizierten Mediator nun zügig erlässt. Selbst wenn dies geschehen sollte, stellt sich freilich noch die Frage nach dem Sinn einer Vorschrift, die zwei sehr unterschiedliche Qualifikationen alternativ vorsieht.

Juristische oder mediative Kompetenz erforderlich?

Offenbar strebt der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG eine salomonische Lösung an, die juristische und mediative Kompetenzen für die Verbraucherschlichtung miteinander vereint. In ähnlicher Weise sind etwa in Österreich die staatlichen Zuschüsse für Mediatorenhonorare daran geknüpft, dass einer von zwei Co-Mediatoren einen psychosozialen Hintergrund und der/die andere eine juristische Qualifikation mitbringt. Damit setzt die österreichische Regelung einen Anreiz dafür, Kompetenzen beider Art in einem Mediatorenteam miteinander zu verbinden. Anders nun freilich die deutsche Regelung zur Verbraucherschlichtung: Ganz abgesehen davon, dass die in § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG vorgesehene Kompetenzanforderung nur für den Leiter einer Schlichtungsstelle gilt und damit womöglich eine unzureichende Umsetzung von Art. 6 der ADR-Richtlinie darstellt, scheinen dem deutschen Gesetzgeber offenbar die juristische wie auch die mediative Kompetenz verzichtbar. Denn wenn das Gesetz als Leiter einer Verbraucherschlichtungsstelle zulässt, wer entweder Volljurist oder zertifizierter Mediator ist, folgt daraus im Umkehrschluss, dass aus Sicht des Gesetzgebers keine dieser Qualifikationen zwingend erforderlich ist. Wenn allerdings beide Qualifikationen verzichtbar sind, stellt sich die Frage, welchen Zweck die Regelung insgesamt überhaupt hat.

Zielsetzung der Verbraucherschlichtung unklar

Tatsächlich offenbart die Formulierung des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG ein tiefer liegendes Problem: Der Gesetzgeber etabliert ein Verfahren, das einerseits Verbraucherrechte nicht verkürzen soll, das andererseits aber auf einen Kompromiss der Parteien angelegt ist. Dabei scheut er die Entscheidung, ob es sich bei der Verbraucherschlichtung nun um ein rechts- oder um ein interessenorientiertes Verfahren handelt. Betrachtet man die Verbraucherschlichtung als rein interessenorientiertes Verfahren, so dürfte eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator als Berufsqualifikation des Verfahrensleiters genügen. Soll es sich hingegen um ein rechtsorientiertes oder gar rechtstreues Verfahren handeln, ist die juristische Qualifikation des Verfahrensleiters unabdingbar (vgl. die Grafik zu diesem Blogbeitrag). Will man beide Kompetenzen miteinander kombinieren, ist der österreichische Weg eine denkbare Lösung. Das Entweder-oder-Modell des deutschen Gesetzgebers kann allerdings kaum überzeugen.

 

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im November 2014 einen Referententwurf für ein neues Verbraucherstreitbeilegungsgesetz veröffentlicht (pdf). Mit diesem Gesetz will die Bundesregierung die Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (AS-Richtlinie) aus dem vergangenen Jahr umsetzen.

Verbraucherschlichtung als erste Anlaufstelle für Verbraucherstreitigkeiten

Im Zentrum des Gesetzentwurfs zum Verbraucherstreitbeilegungsgesetz steht die Tätigkeit so genannter Verbraucherschlichtungsstellen. Diese Einrichtungen sollen künftig insbesondere für Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern systematisch verfügbar sein. Das Gesetz zielt vorrangig auf diejenigen Verbraucher, die nach Problemen beim Erwerb von Waren oder bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen gerne rechtlich gegen ein Unternehmen vorgehen würden, für die sich dies mit Blick auf den geringen Streitwert und die mit der Zuziehung eines Anwalts oder mit der Anrufung eines Gerichts verbundenen Kosten aber schlichtweg nicht lohnt. Hier soll zukünftig ein einfaches, meist kostenloses außergerichtliches Schlichtungsverfahren Abhilfe schaffen. Der Gesetzgeber hofft, dass Unternehmen erkennen, dass ein kundenorientiertes Beschwerdemanagement das Vertrauen der Verbraucher stärkt und den Konsum ankurbelt.

Rezeption des VSBG durch Unternehmen noch unklar

Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz nach seinem nun vorgelegten Entwurf nimmt der Gesetzgeber die Unternehmer in die Pflicht: Sie können sich zwar grundsätzlich frei entscheiden, ob sie am außergerichtlichen Schlichtungssystem teilnehmen. Wenn sie sich allerdings für die Verbraucherschlichtung entscheiden, müssen sie den Löwenanteil der Verfahrenskosten tragen und ihre Kunden in ihren AGB und auf ihrer Homepage auf die zuständige Schlichtungsstelle aufmerksam machen. Können Sie einen Konflikt mit einem Verbraucher nicht bilateral beilegen, müssen sie ihn von sich aus in Textform darauf aufmerksam machen, dass er eine Schlichtungsstelle anrufen kann. Während sich aktuell insbesondere große Unternehmen an den bereits existierenden brancheninternen Schlichtungsprojekten beteiligen, erscheint ungewiss, inwieweit diese ihre schlichtungsfreundliche Einstellung aufrecht erhalten werden, wenn sie die Verbraucher mit der Nase auf das kostenlose Schlichtungsverfahren stoßen müssen. Kleine und mittlere Unternehmen sind heute kaum an Schlichtungsverfahren beteiligt, so dass auch hier die Prognose schwer fällt, inwieweit sie sich von der Schlichtung Vorteile versprechen werden.

Verbraucherschlichtung und Ziviljustiz als Komplementäre?

Sollten sich Unternehmer in großer Zahl für die Verbraucherschlichtung nach dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz öffnen, könnte dies auch Folgen für die Bedeutung der Ziviljustiz haben. Zwar dürften es viele Verbraucher, die heute angesichts des mit einem Rechtsstreit verbundenen Aufwands den Kopf in den Sand stecken, zukünftig mit dem kostenlosen Schlichtungsverfahren versuchen. Diejenigen Verbraucher, die heute den Weg zur Justiz antreten, könnten davon aber durch die vom Verbraucherstreitbeilegungsgesetz initiierten Neuerungen abgebracht werden. Denn die Kostenfreiheit der Schlichtung ist ein starkes Argument, das viele Verbraucher beeindrucken wird. Sind sie dann im Schlichtungsverfahren nicht erfolgreich, werden sie aber kaum noch einen zweiten Versuch vor den staatlichen Gerichten wagen.

Weitere Beiträge von Horst Eidenmüller und Martin Engel finden sich in den Zeitschriften MMR (pdf), Anwaltsblatt (pdf), ZIP (zip-online), Ohio State Journal on Dispute Resolution (SSRN), in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (pdf) sowie auf Legal Tribune Online.