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Am heutigen Tag wurden die Änderungen der Regeln für zertifizierte Mediatoren (ZMediatAusbV) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die Neufassung der Verordnung tritt am 1. März 2024 in Kraft. Was ist neu und was müssen angehende Mediatorinnen und Mediatoren beachten?

Künftig später statt schneller zertifizierter Mediator

Wie bereits im Entwurf der Verordnungsnovelle geplant war, erfahren die Regeln für zertifizierte Mediatoren drei wesentliche Änderungen:

  1. Nunmehr muss der Ausbildungslehrgang einen Umfang von mindestens 130 statt zuvor 120 Stunden haben. Dafür kommen Online-Mediation und Digitalkompetenz als Pflichtinhalte des Lehrgangs hinzu.
  2. Während eine Online-Ausbildung zum zertifizierten Mediator bisher nicht möglich war, soll virtueller Unterricht nunmehr im Umfang von max. 40%, also 52 Zeitstunden, möglich sein. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Anwesenheitsprüfung. Zudem müssen Lehrkräfte und TeilnehmerInnen persönlich miteinander kommunizieren können. Ein Zoom-Meeting erfüllt diese Voraussetzung ebenso wie ein Livestream mit offenem Chat.
  3. Die wichtigste Änderung der Zertifizierungsregeln ist die zeitlich deutlich nach hinten verlagerte Berechtigung, sich als zertifizierte Mediatorin oder zertifizierter Mediator zu bezeichnen. Sowohl nach alter wie auch nach neuer Rechtslage müssen Zertifizierungskandidaten fünf Mediationsfälle akquirieren und supervidieren lassen. Während sie sich bisher bereits nach der ersten Supervision als „zertifiziert“ bezeichnen dürfen, müssen sie dafür künftig aber bis zum Abschluss der fünften Supervision warten. Der schnelle zertifizierte Mediator ist damit passé.

Was die Zertifizierungs-Novelle nicht regelt…

Eine Reihe von Vorschlägen zur Überarbeitung der Zertifizierungsregeln hat das Bundesjustizministerium nicht aufgegriffen. Auf absehbare Zeit nicht geben wird es

  • eine zentrale Prüfstelle für zertifizierte Mediatoren,
  • eine der Zertifizierung vorausgehende Prüfung von Zertifizierungskandidaten,
  • gesetzliche Regeln für eine Mediatorenkammer.

Bei diesen Themen blieb das Stimmungsbild unter Mediations-Stakeholdern bis zuletzt uneinheitlich. Das BMJ hat es deswegen beim kleinsten gemeinsamen Nenner belassen. Im Hinblick darauf, dass nicht wenige Stimmen den Mediationsmarkt bereits heute für überreguliert halten, erscheint diese Lösung auch sachgerecht.

Schnell noch die alte Zertifizierung mitnehmen?

Die Verordnungsnovelle tritt am 1. März 2024 in Kraft; ab diesem Tag gelten die neuen Zertifizierungsregeln. Wer noch unter dem alten Recht in den Genuss des schnell-zertifizierten Mediators kommen möchte, kann dies relativ einfach tun. Denn nach § 7 Abs. 4 der neugefassten Verordnung darf man sich noch unter den alten, geringeren Voraussetzungen als zertifizierte(r) Mediator(in) bezeichnen, wenn man bis zum 29. Februar 2024 einen Ausbildungslehrgang beginnt und bis zum 29. Februar 2028 diesen Lehrgang abschließt und fünf Praxisfälle in Einzelsupervisionen reflektiert.

Der nächste Lehrgang der Münchener Ausbildung zum Wirtschaftsmediator beginnt am 14. September 2023. Anmeldungen sind gegenwärtig noch möglich über unser Online-Anmeldeformular.

Können sich Fachanwältinnen und Fachanwälte eigentlich eine Mediationsausbildung als Fortbildung im Sinne von § 15 der Fachanwaltsordnung (FAO) anrechnen lassen?

Fortbildungspflicht für Fachanwälte nach § 15 FAO

Die Fortbildungspflicht für Fachanwältinnen und Fachanwälte regelt § 15 der Fachanwaltsordnung. In dessen Abs. 1 S. 2 und 3 heißt es:

„Wer eine Fachanwaltsbezeichnung führt, muss kalenderjährlich auf diesem Gebiet wissenschaftlich publizieren oder an fachspezifischen der Aus- oder Fortbildung dienenden Veranstaltungen hörend oder dozierend teilnehmen. Die hörende Teilnahme setzt eine anwaltsorientierte oder interdisziplinäre Veranstaltung voraus.“

Anbieter von Anwaltsseminaren haben eine Reihe unterschiedlicher Standardfortbildungen im Programm, die spezifisch für eine der inzwischen 24 verschiedenen Fachanwaltschaften als Fortbildung aufgesetzt und ausgeflaggt sind. Wie aber verhält es sich mit nicht fachanwaltsorientierten Veranstaltungen wie einer Mediationsausbildung? Sind sie „fachspezifisch“ im Sinne von § 15 FAO?

Mediationsausbildung als fachspezifische Fortbildung?

Die Antwort lautet wie so häufig: Es kommt darauf an! Lehrreich im Hinblick auf die Anforderungen an die fachspezifische Ausrichtung einer Fortbildung ist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2016. Seinerzeit hatte der BGH – noch zur alten Rechtslage, aber insoweit ohne Unterschied – zu entscheiden, ob eine Fortbildung zu „Vernehmungslehre und Vernehmungstaktik“ ausreichend fachspezifisch ist, um als Fortbildung für Fachanwälte für Verkehrsrecht anerkannt zu werden. (BGH v. 18. Juli 2016, AnwZ (Brfg) 46/13, Volltext). Die drei Kernerkenntnisse aus der BGH-Entscheidung lauten:

  1. Eine Fortbildung im Sinne von § 15 FAO muss den Bezug zu einer bestimmten Fachanwaltschaft nicht im Veranstaltungstitel tragen.
  2. Eine Fortbildung im Sinne von § 15 FAO darf sich nicht auf juristische Grundkenntnisse beschränken, wie sie üblicherweise in Studium und Referendariat vermittelt werden.
  3. Ein Indiz für ausreichenden Fachbezug sind fachspezifische Fälle, die im Rahmen der Fortbildung bearbeitet werden.

Weil Mediationsfähigkeiten in Studium und Referendariat üblicherweise nicht vermittelt werden (Ausnahmen bestätigen die Regel), bedeutet das: Eine Mediationsausbildung ist ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung als Fortbildung nach § 15 FAO anerkennungsfähig, soweit sie Themen oder Fälle mit entsprechendem Fachanwaltsbezug bearbeitet. Das Wörtchen „soweit“ signalisiert dabei, dass eine Teilanrechnung der Mediationsausbildung in Betracht kommt. Entfallen beispielsweise 15 von 120 Ausbildungsstunden auf zwei erbrechtliche Fälle, kann die Ausbildung in diesem Umfang als Fortbildung für den Fachanwalt im Erbrecht gelten.

Was sagen die Kommentare zu § 15 FAO?

Dieses Verständnis von § 15 FAO findet sich auch in den einschlägigen Kommentaren zum anwaltlichen Berufsrecht. Hartmut Scharmer betont dabei im BORA/FAO-Kommentar von Harter/Scharmung (8. Aufl. 2022), dass das erst 2015 eingefügte Adjektiv „fachspezifisch“ keine zusätzliche Hürde darstellen soll; es genüge, wenn „der Seminargegenstand inhaltlich fachspezifisch“ ist (§ 15 FAO Rn. 34 und 40). Pro futuro wäre sogar eine weitergehende Anerkennung einer Mediationsausbildung denkbar, wenn man berücksichtigt, dass der Nutzen einer Fortbildung regelmäßig in der Transferleistung der Veranstaltungsteilnehmer besteht. Immerhin wird jede an einer Mediationsausbildung teilnehmende Anwältin die erlernten Mediationsfähigkeiten automatisch in ihre Erfahrungen einordnen und ihre fachspezifischen Fähigkeiten damit weiterentwickeln. Eine ähnlich großzügige Auslegung von § 15 FAO findet sich etwa bei Susanne Offermann-Burckart im BRAO-Kommentar von Henssler/Prütting (5. Aufl. 2019): Sie verlangt zwar ebenfalls einen nachvollziehbaren Bezug zu der geführten Fachanwaltschaft, hält es dabei aber ausdrücklich für zulässig, wenn ein Steuerrechtler ein Seminar zum Insolvenzrecht oder ein Insolvenzrechtler eine Steuerrechts-Tagung besucht (§ 15 FAO Rn. 43).

Vorab-Bestätigung durch die Kammer möglich

Das letzte Wort bei der Anrechnung von Fachanwalts-Fortbildungen hat in der Praxis die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer. Dort ist die o.g. Rechtsprechung in der Regel auch bekannt. Die Bestätigung der Anrechnung erfolgt häufig erst nachlaufend nach Einreichung der entsprechenden Fortbildungsnachweise. Zu einer Vorab-Bestätigung sind die Kammern nach dem o.g. BGH-Urteil nicht verpflichtet. Eine Anfrage bei der Kammer kann sich trotzdem empfehlen, denn bisweilen sind die Kammern doch zu einer formlosen Auskunft bereit, um Planungssicherheit zu ermöglichen.

Ende 2022 sorgte der Textautomat ChatGPT in den sozialen Medien für Furore. Technikaffine Angehörige sprach- und textproduzierender Berufe begannen zu überlegen, ob ihr Job künftig von einer künstlich intelligenten Software erledigt wird. Nun sind Mediatoren auf eine Weise auch Sprach- bzw. Sprechprofis. Wo könnte moderne Software wie ChatGPT mittelfristig in der Wirtschaftsmediation auftauchen?

Was ist ChatGPT genau?

Zunächst zum Hintergrund: ChatGPT ist eine Entwicklung von OpenAI und für jedermann nach Anlegen eines Accounts frei nutzbar. Vom Erscheinungsbild her erinnert das Tool an den Übersetzungsautomaten DeepL, der vor einiger Zeit Live-Übersetzungen revolutioniert hat und damit das Textarbeiten in fremder Sprache ermöglicht. Während DeepL allerdings „nur“ einen bereits existierenden Text übersetzt, erstellt ChatGPT den Text selbst. Dabei kann die Software sehr unterschiedliche Aufträge verarbeiten, von der Essayaufgabe zu einer bestimmten historischen Entwicklung über die Gestaltung eines Computerprogramms bis hin zur Erstellung von Rechtstexten. Im schlechteren Fall wird ChatGPT eine teilweise falsche Antwort aus frei verfügbaren Texten unbeholfen zusammenzimmern, im besseren Fall entsteht ein ganz neuer Text ohne fremde Urheberrechte, ggf. sogar mit korrekter Zitierung oder konkreten Handlungsempfehlungen.

Wie könnte man ChatGPT in der Mediation einsetzen?

Wenn man überlegt, wie man eine Medation durch eine solche Sprachproduktionssoftware anreichern kann, kommt einem vielleicht zuerst das Extrem in den Sinn: Ein Mediations- oder Schlichtungsautomat, der bei Eingabe einer Sachverhaltsschilderung Mitgefühl äußert und vielleicht sogar einen konkreten Lösungsvorschlag unterbreitet. Im Hinblick auf die Fehleranfälligkeit des Tools und auf die Intransparenz des Outputs erscheint dies allenfalls für Bagatellstreitigkeiten denkbar, die andernfalls überhaupt nicht bearbeitet werden. In der klassischen Wirtschaftsmediation sind Einsatzmöglichkeiten bescheidener, aber doch auch vorstellbar. So könnte ChatGPT etwa Vorschläge für die Kommunikation mit den Parteien liefern, Ideen für bisher noch nicht genannte Interessen einbringen oder einen ersten Entwurf für ein Vergleichsdokument erstellen. Auch das alles steht natürlich unter dem Vorbehalt, dass alle Beteiligten bereit sind, ihre für die Anfrage an das Tool verwendeten Daten auch für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen.

ChatGPT: Wie wäre es mit einem Test?

Das Bemerkenswerte an ChatGPT: Man kann sich der Software einigermaßen gefahrlos nähern und erst einmal experimentieren. Drei Beispiele:

Frage an ChatGPT: „Wie antworte ich auf eine Bitte, eine Auseinandersetzung als Mediatorin zu unterstützen, wenn ich gerne eine Kartellrechtsspezialistin als Co-Mediatorin hinzuziehen würde?“

Antwort von ChatGPT: „Ich danke Ihnen für Ihre Bitte, als Mediatorin zu unterstützen. Ich bin gerne bereit, Ihnen zu helfen, jedoch würde ich gerne eine erfahrene Kartellrechtsspezialistin als Co-Mediatorin hinzuziehen, um sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte des Falls gründlich und kompetent bearbeitet werden. Ich denke, dass die Expertise dieser Person einen wertvollen Beitrag zur Auseinandersetzung leisten kann und kann Ihnen gerne einen oder mehrere Vorschläge für geeignete Co-Mediatoren machen. Wären Sie damit einverstanden?“

Oder wir beauftragen ChatGPT, uns bei der Suche nach Interessen etwas Schützenhilfe zu leisten:

Frage an ChatGPT: „Was sind typische Bedürfnisse der Kinder eines verstorbenen Menschen im Erbstreit?“

Antwort von ChatGPT: „Typische Bedürfnisse von Kindern eines verstorbenen Menschen im Erbstreit können sein:

  • Finanzielle Sicherheit und Unterstützung
  • Emotionale Unterstützung und Trauerbegleitung
  • Klärung von Fragen bezüglich des Vermögens und des Erbes des verstorbenen Elternteils
  • Aufrechterhaltung von Beziehungen zu Familienmitgliedern und Freunden des verstorbenen Elternteils
  • Sicherstellung, dass die Wünsche des verstorbenen Elternteils bezüglich des Erbes respektiert werden.“

Oder wir bitten ChatGPT um Ideen zu einer typischen Blockade gen Ende eines Mediationsverfahrens:

Frage an ChatGPT: „Wie kann ich als Mediator verhindern, dass die Parteien am Ende eines langen, konstruktiven Gesprächs doch wieder in eine Basarverhandlung abdriften?“

Antwort von ChatGPT: „Als Mediator gibt es einige Möglichkeiten, um zu verhindern, dass die Parteien am Ende eines langen, konstruktiven Gesprächs doch wieder in eine Basarverhandlung abdriften:

  1. Klare Erwartungen setzen: Zu Beginn des Mediationsprozesses sollten die Erwartungen an das Verfahren und die Verhaltensregeln klar festgelegt werden. Dies kann helfen, Basarverhandlungen zu vermeiden, indem man darauf hinweist, dass das Ziel darin besteht, eine gemeinsame Lösung zu finden.
  2. Fokus auf Interessen statt Positionen: Basarverhandlungen konzentrieren sich oft auf Positionen, anstatt auf die Interessen der Parteien. Als Mediator sollte man die Parteien dazu ermutigen, ihre Interessen zu artikulieren und zu erkunden, wie diese am besten befriedigt werden können.
  3. Verständnis fördern: Basarverhandlungen entstehen oft aus Unwissenheit oder Missverständnissen. Als Mediator sollte man darauf achten, dass die Parteien ein gegenseitiges Verständnis für ihre Positionen und Interessen entwickeln.
  4. Alternativen aufzeigen: Basarverhandlungen können entstehen, wenn die Parteien denken, dass es keine andere Option gibt. Als Mediator sollte man die Parteien dazu ermutigen, verschiedene Alternativen zu erwägen und zu diskutieren, um die Auswahl zu erweitern.
  5. Zeitmanagement: Basarverhandlungen können entstehen, wenn die Parteien sich in einer Sackgasse befinden und keine Fortschritte machen. Als Mediator sollte man darauf achten, dass der Prozess auf Kurs bleibt und die Parteien dazu ermutigen, konstruktiv weiterzuarbeiten.“

Die zweite Antwort ist meist besser als die erste

Die Beispiele zeigen: ChatGPT wirkt keine Wunder, gibt aber regelmäßig hilfreiche Denkanstöße. Es gibt gute Gründe, das Tool nicht im Plenum einer Mediation einzusetzen. Bei der Vorbereitung des Verfahrens kann die Software aber durchaus nützlich sein. Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte man den automatisch produzierten Text freilich nicht ungeprüft verwenden, sondern aufmerksam gegenlesen. Ein Tipp zum Schluss: Am Ende einer Antwort von ChatGPT lässt sich die Antwort „regenerieren“, also ein zweites Mal erstellen. Die Erfahrung zeigt: Die zweite Antwort ist meist besser als die erste…

Im Herbst 2022 ist das Standardwerk „Wirtschaftsmediation“ aus der Feder des Frankfurter Rechtsanwalts Jörg Risse in zweiter Auflage erschienen. Was steht in dem Buch und wer sollte es lesen?

Grundlagen der Wirtschaftsmediation

Ziel des Werkes ist es, das Mediationsverfahren am Beispiel wirtschaftsrechtlicher Fälle praxisgerecht zu erläutern und zugleich die Pflichtinhalte der Ausbildung zum zertifizierten Mediator abdecken. Diesen Anspruch erfüllt das Buch voll und ganz. Am Beginn steht eine ausführliche Einführung in die methodischen Grundlagen von Verhandlungsmanagement und Mediation. Danach widmet sich Risse eingehend der für die Praxis außerordentlich bedeutsamen Frage, wie ein Fall den Weg zur Mediation findet. Anschließend stellt er die klassischen fünf Phasen der Mediation dar und erörtert die Rollen der verschiedenen Beteiligten. Gen Ende des Buches finden unter anderem der Rechtsrahmen für die Wirtschaftsmediation und die Grundlagen anderer Streitbeilegungsverfahren Erwähnung.

Standardwerk nicht nur für Wirtschaftsmediatoren

Vom Umfang her liegt das Buch von Jörg Risse oberhalb „unserer“ „Mediation in der Wirtschaft“ und unterhalb des „Handbuchs Mediation“ von Haft/Schlieffen. Auch wenn sich das Buch sehr flüssig liest, wird man es mit Blick auf seinen Umfang nicht an einem Wochenende durcharbeiten können. Es ist insofern nicht so sehr eine Lektüre zum Herunterlesen, sondern eher ein echtes Grundlagenwerk, das auch bei hohen rechtswissenschaftlichen und rechtspraktischen Ansprüchen keine Fragen offen lässt. Die Lesezeit ist aber gut investiert, und zwar nicht nur für Mediatorinnen und Mediatoren, sondern für die gesamte Breite der Prozessrechtspraxis. Denn mit Risse schreibt ein Litigation-Experte, der die Mediation nicht als Weltanschauung auf den Schild hebt, sondern sie auf solider theoretischer Grundlage als eines von mehreren ernstzunehmenden Verfahren der Konfliktlösung beschreibt. Das ist absolut lesenswert!

Das Buch „Wirtschaftsmediation“ von Jörg Risse ist im Versandhandel zum Preis von 129 € erhältlich.

Seit dem 12. Juni 2020 gilt die neue Verordnung (EU) Nr. 2019/1150 über Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten, die sog. Platform-to-Business- bzw. P2B-Verordnung. Die Verordnung soll Online-Händler vor einer Benachteiligung durch E-Commerce-Plattformen schützen. Das darin niedergelegte Schutzkonzept der Europäischen Union setzt in materiell-rechtlicher Hinsicht auf Transparenz und in verfahrensrechtlicher Hinsicht auf die Mediation. Worum geht es und was bedeutet das für Wirtschaftsmediatoren?

P2B-Verordnung soll Händler vor Abhängigkeit von Plattformen schützen

Wenn Menschen miteinander ins Geschäft kommen, ist regelmäßig eine Vertragspartei stärker als die andere. Wo dies regelmäßig vorkommt, greift manchmal der Gesetzgeber ein. David bekommt gewissermaßen eine gesetzliche Steinschleuder in die Hand, um mit Goliath auf Augenhöhe zu kommen. Ein typisches Beispiel für eine solche Situation sind Machtungleichgewichte zwischen Verbrauchern und Unternehmern. Das inzwischen weit ausdifferenzierte Verbraucherschutzrecht hilft Verbrauchern, z.B. indem es durch gesetzliche Widerrufsrechte dafür sorgt, dass sie seltener in für sie uninteressante Verträge hineingelockt werden. Die neue P2B-Verordnung schafft nun ein ähnliches Schutzrecht für gewerbliche Händler. Diese gelten zwar – gerade im Vergleich zu Verbrauchern – traditionell als geschäftserfahren und wenig schutzbedürftig. Im Zeitalter einer immer mächtigeren Plattformindustrie haben sich die Gewichte allerdings verschoben. Viele Händler sind heute mit ihren Vertriebsstrukturen weitgehend von E-Commerce-Plattformen wie Amazon, eBay, oder Booking abhängig. Sie sind insofern gezwungen, für sie ungünstige Handelsbedingungen im Zweifel zu schlucken, weil sie keine Alternativen sehen. Dieses Machtungleichgewicht soll die P2B-Verordnung aufbrechen.

P2B-Verordnung mit sanftem Druck

Welche Instrumente wählt die P2B-Verordnung, um diese Herausforderungen zu bewältigen? Es fällt auf, dass die EU sowohl in materiell-rechtlicher als auch in prozeduraler Hinsicht einen sehr vorsichtigen Ansatz fährt. Einseitig nachteilhafte und die Händler knebelnde Bedingungen von Plattformen werden nicht untersagt oder einer ausdifferenzierten AGB-Kontrolle unterworfen (die europäische Klauselrichtlinie 93/13/EWG gilt nur für Verträge mit Verbrauchern!). Stattdessen versucht es die EU mit Transparenzpflichten: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattform sollen transparent sein (Art. 3), der Ausschluss einer Händlerin soll begründet werden (Art. 4) und die für Suchfunktionen außerordentlich bedeutsamen Ranking-Kriterien sollen transparent sein (Art. 5). Dieser weiche Regulierungsansatz setzt sich auch mit Blick auf das Konfliktmanagement fort: Händler sollen etwaige Unzufriedenheiten in einem internen Beschwerdemanagementsystem artikulieren können (Art. 11) und in Streitigkeiten, die sich auf diesem Wege nicht bewältigen lassen, sollen spezialisierte Mediatoren vermitteln (Art. 12 und 13).

Ein neuer Tätigkeitsbereich für Wirtschaftsmediatoren?

Eröffnet die P2B-Verordnung ein neues Tätigkeitsfeld für Wirtschaftsmediatoren? Immerhin müssen die Plattformen nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 der P2B-Verordnung in ihren AGB mindestens zwei Mediatoren benennen, mit denen sie bereit sind zusammenzuarbeiten. Diese Mediatoren müssen über ein gewisses Grundverständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge verfügen, denn Art. 12 Abs. 2 lit. f) sieht vor:

„Sie [die Mediatoren] verfügen über ein ausreichendes Verständnis der allgemeinen Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen, sodass sie wirksam zum Versuch der Streitbeilegung beitragen können.“

Eine erste Bestandsaufnahme drei Monate nach Beginn der Geltung der Verordnung lässt erahnen, dass Mediationen zwischen Plattformen und Händlern überwiegend über Verbände abgewickelt werden dürften. So verweist etwa § 11 Nr. 7 der eBay-AGB auf zwei E-Commerce-Bundesverbände als Mediationsdienstleister. Check24 begnügt sich mit einem Hinweis auf das interne Beschwerdemanagementsystem. Einige andere große Plattformen haben ihre AGB demgegenüber noch gar nicht an die Vorgaben der P2B-Verordnung angepasst und könnten insofern noch offen für neue Kooperationen mit Wirtschaftsmediatoren sein. Unklar ist freilich, ob sich die Plattformen im Ernstfall tatsächlich auch auf ein Mediationsverfahren einlassen werden. Dazu verpflichtet sie die P2B-Verordnung nämlich nicht.

Anfang März 2019 ist das Buch Mediation in der Wirtschaft im Verlag Dr. Otto Schmidt in 3. Auflage erschienen. Was steht drin und was ist neu?

Wirtschaftsmediation von A bis Z

Das Buch zur Mediation in der Wirtschaft versteht sich als Ratgeber und Praxisleitfaden für kluges Konfliktmanagement in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten. Wer darüber nachdenkt, seine Herangehensweise an Konflikte zu professionalisieren und Konfliktkosten zu senken, findet dafür konkrete Handreichungen. Auch als Grundlagenwerk für Mediationsausbildungen hat sich das Buch bewährt. Das Werk folgt einem dreigliedrigen Aufbau: Im ersten Teil erfahren die Leser, wie Konflikte entstehen und welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, damit umzugehen. Der zweite Buchteil stellt die Methode der Mediation entlang der Phasen eines Mediationsverfahrens vor. Der dritte Teil erläutert, wie man das Mediationsverfahren in die Praxis des Konfliktmanagements integriert.

Fallbeispiele, Muster und Checklisten

Der Mediation in der Wirtschaft liegt eine gründliche Auswertung der aktuellen Wissenschaftsliteratur im Bereich der außergerichtlichen Streitbeilegung zugrunde. Zugleich versteht sich das Werk als Lesebuch, das sich nicht nur an Juristen, sondern gerade auch an Unternehmer und nichtjuristische Berater wendet. Als Anwenderbuch ist die Mediation in der Wirtschaft in allen Teilen angereichert mit Beispielen aus der Mediationspraxis der Autoren. Diese Beispielsfälle illustrieren, welche konkreten und teilweise unerwarteten Vorteile sich aus einer Mediation ergeben können. Für diejenigen Leser, die selbst als Mediatoren tätig sind, enthält der Anhang des Buchs eine Reihe von Mustern und Checklisten, die Anregungen für die Ausgestaltung eines Mediationsverfahrens geben.

Mediation in der Wirtschaft: Neues in der 3. Auflage

Die nunmehr erschienene dritte Auflage wartet mit einer Reihe von Ergänzungen und Aktualisierungen auf. Sie berücksichtigt insbesondere das erst nach dem Erscheinen der 2. Auflage in Kraft getretene Mediationsgesetz und die 2017 erlassene Rechtsverordnung zum zertifizierten Mediator. Darüber hinaus erfuhr vor allem die Darstellung der besonderen Anforderungen an Anwaltsmediatoren eine Überarbeitung. Schließlich wurde auch eine Vielzahl von Beispielen aktualisiert oder neu eingefügt.

Die dritte Auflage der Mediation in der Wirtschaft ist im Handel ab sofort zum Preis von € 49,80 erhältlich.

In einem aktuellen Beitrag für die Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ 2015, 134-138) beschäftigt sich die Berliner Anwältin Monika Pasetti mit der Implementation der Wirtschaftsmediation in die Beratungspraxis von Großkanzleien. Darin plädiert sie zusätzlich zu der aktuell üblichen Verortung im Bereich Dispute Resolution für eine breite Verankerung der Mediation in allen Tätigkeitsfeldern großer Anwaltssozietäten.

Geringe Anreize zur Integration der Mediation in die Beratungspraxis

Wenn die Mediation in Wirtschaftskonflikten bisher noch eine begrenzte Rolle spiele, so liegt dies Pasetti zufolge weniger daran, dass es auf Seiten der Unternehmen nur ein geringes Bedürfnis nach konsensorientierter Konfliktlösung gibt, sondern vielmehr an einer unzureichenden Integration der Wirtschaftsmediation in der anwaltlichen Beratungspraxis. In Großkanzleien manifestiere sich dies insbesondere darin, dass im Wesentlichen nur die Praxisgruppe Dispute Resolution über Mediationskompetenz verfüge. Diese sei aber typischerweise weniger mit der Konfliktprävention als mit der Austragung von Streitigkeiten befasst und habe insofern nur begrenzte Möglichkeiten, die Mediation zur Anwendung zu bringen. Dies gelte umso mehr, als die gerichtliche und die schiedsgerichtliche Konfliktlösung eingetretene Pfade seien, die zu verlassen immer besonderer Begründung bedürfe. Hinzu komme, dass der Mediator nach dem Mediationsgesetz nicht aus der Sozietät des mandatierten Anwalts stammen dürfe, mithin Fallverantwortung nach außen delegiert werden müsse. Und selbst dort, wo im konkreten Fall noch kein Mandat bestehe, könnte die Dispute Resolution Practice einer Großkanzlei vor der Übernahme eines Mediationsmandats zurückscheuen, schließe dieses doch in der Regel eine spätere anwaltliche Tätigkeit von Sozietätskollegen für die streitbeteiligten Parteien aus.

Wirtschaftsmediation jenseits des Praxisbereichs Dispute Resolution

Angesichts dieser strukturellen Hindernisse bei der Eingliederung der Mediation in die Anwaltspraxis votiert Pasetti dafür, die außergerichtliche Streitbeilegung gerade auch in die Arbeitsbereiche jenseits der Dispute Resolution hineinzutragen. Dies könne insbesondere durch die Einbindung der Wirtschaftsmediation in die Vertragsgestaltung geschehen. So sollten Mediationsklauseln oder auch gestufte Eskalationsklauseln systematisch in Verträge und womöglich auch in Geschäftsordnungen für Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte integriert werden. Dadurch lasse sich gewährleisten, dass im Streitfall zur Konfliktlösung nicht ein unnötig scharfes Schwert gezogen werde. Ob das weiterhin von Pasetti befürwortete kanzleiübergreifende Netzwerk zur gegenseitigen Vermittlung von Mediationsmandaten mit § 3 Abs. 2 MediationsG vereinbar wäre, mag indes bezweifelt werden. Überzeugender erscheint hier die auch in der gegenwärtigen Praxis zu beobachtende Tendenz, Wirtschaftsmediatoren ohne Anbindung an eine Großkanzlei zu bevorzugen, um die uneingeschränkte Neutralität des Mediators sicherzustellen.

Der Beitrag von Monika Pasetti ist online abrufbar im Portal beck-online.